Dienstag, 23. Oktober 2018

Vampyr (PS4-Review)


Genre: Action-Rollenspiel
Erschienen: 5. Juni 2018 für PC, PS4, Xbox One
Alterseinstufung: USK ab 16

Kaum ein Entwicklerstudio schafft mit vergleichsweise geringen Mitteln so viel Wirkung wie zuletzt Dontnod. Galt Remember Me im Jahr 2013 noch als Geheimtipp, war bereits Life Is Strange der große Wurf. Mit dem Action-Rollenspiel Vampyr wird die positive Tendenz weiter konsequent fortgeführt.


Videospiele mit düsterem Vampir-Setting haben eine lange Tradition und werden durch gelungene Vertreter der Vergangenheit meist mit Spannung erwartet, beispielsweise Legacy of Kain oder Vampire: Bloodlines. Zuletzt zeigten sich die thematischen Auseinandersetzung jedoch arg blutleer, etwa bei DARK. Eines vorneweg: Auch Vampyr ist keine AAA-Produktion mit hohem Budget, sondern ein von den Entwicklern selbst bezeichneter AA-Titel. Und was soll man sagen: Egal! Es hat Vampyr nicht geschadet, trotz der unübersehbaren Ecken und Kanten. Die Auseinandersetzung mit vielen mysteriösen Vampir-Themen motiviert bis zum Ende.


Schon die Ausgangslage ist nicht längst nicht so ausgelutscht wie befürchtet sondern erstaunlich frisch. Als Jonathan Reid kehrt man im Jahr 1918 aus dem 1. Weltkrieg zurück ins ungemütliche London. Hier grassiert aktuell die verheerende Spanische Grippe, eine Pandemie, die tatsächlich im frühen 20. Jahrhundert viele Millionen Todesopfer forderte. Unsere Spielfigur plagen aber erstmal ganz andere Probleme, schließlich erwacht er völlig entkräftet in einem ausgehobenen Massengrab und wird vom Blutdurst durch die Straßen getrieben. Das erste Opfer seiner Verwirrung lässt nicht lange auf sich warten. Tragischerweise muss seine Schwester Mary den Hals hinhalten. 


Diese Tat lässt Reid fortan nicht mehr los und so bleibt die eigene Familie ein wichtiger Strang in der vielschichtigen Hauptgeschichte. Der Hauptcharakter sucht aber auch fortan nach seinem Erzeuger, als derjenigen Person, die ihn diesen Fluch auferlegt hat. Außerdem macht er recht früh die Bekanntschaft mit Dr. Edgar Swansea. Dieser weiß um die bekannten chirurgischen Kenntnisse des Vampirs und heuert ihn kurzerhand im nahe gelegenen Pembroke Hospital an, um seine Forschungen bezüglich Bluttransfusionen und Organtransplantationen voranzutreiben. Schließlich hat die Stadt nicht nur mit der Spanischen Grippe zu kämpfen, sondern auch mit einer unübersehbaren Ausbreitung von Vampirismus.


20 bis 40 Stunden Spielzeit sollte man für Vampyr einplanen. In dieser kurzweiligen Zeit schaffen es die Entwickler wiederum mit interessanten Charakteren, überraschenden Story-Wendungen sowie der beklemmenden Atmosphäre zu punkten. Zwischensequenzen werden entweder in Spielgrafik oder durch wenige animierte Schnipsel präsentiert. Auch in diesem Werk werden unangenehme Themen aufgegriffen, etwa Rassismus, Homophobie oder Kriegstraumata. Insgesamt bleibt die Stimmung ernst und der Tenor ruhig. 


Im Kern ist das Spiel ein Action-Rollenspiel aus der übersichtlichen Schulterperspektive. Für erfolgreich absolvierte Aufträge oder Kämpfe werden Erfahrungspunkte gutgeschrieben. In neue Fähigkeiten können diese aber erst nach einer erholsamen Ruhepause investiert werden. Der Talentbaum ist relativ übersichtlich und bietet solide Möglichkeiten zur Charakterentwicklung. Die Auftraggeber nehmen eine wichtige Rolle ein, schließlich werden neue Dialoge erst dann offenbart, wenn gewisse Informationen gefunden werden. So taucht man noch tiefer in die kompakte Spielwelt mit seinen vier Distrikten ein, um die Geheimnisse der Figuren zu ergründen. Wer sich mit den Bewohnern beschäftigt, hat es dann leichter, sich in London zurecht zu finden und erlebt obendrein erstaunliche Schicksale anstatt langweiliger Statisten-Floskeln. Hier hebt sich Vampyr angenehm von Genre-Konkurrenten ab, auch weil die Entscheidungsfindungen und die damit verbundenen starken Auswirkungen nicht auf einen Bierdeckel passen. Bewundernswert dabei ist noch zu erwähnen, dass Beziehungen zwischen den Bewohnern erkennbar sind.


Ohnehin hat es der normale Schwierigkeitsgrad bereits in sich, weshalb ein so genannter Story-Modus nachgereicht wurde, der die Überlebenschancen erhöht. Für Hartgesottene, die bereits erfolgreiche Erfahrungen mit Titeln wie Bloodborne oder Dark Souls sammeln konnten, gibt es den Hardcore-Modus. Letztendlich steht der Hauptprotagonist regelmäßig vor konsequenten Entscheidungen, Figuren für eine große Anzahl an Erfahrungspunkten auszusaugen oder im Gegenteil zu verschonen sowie mit selbst hergestellten Medikamenten zu versorgen. Diese kann Dr. Reid mit den eingesammelten Zutaten an Arbeitstischen herstellen. Schließlich wirkt sich die Spielweise auf die Zustände der einzelnen Bezirke aus. Ausgesaugte oder kranke Personen haben negative Auswirkungen, an dieser Stelle erscheinen deutlich mehr Feinde in Form von Vampirjägern und Bestien, die regelmäßig angreifen und respawnen. Das Kampfsystem punktet mit den Vampireigenschaften sowie einem überschaubaren Repertoire an aufrüstbaren Einhand-, Zweihand- oder Feuerwaffen.


Story und Gameplay überzeugen also auf ganzer Linie. Technisch fehlt Vampyr aber ein wenig der Biss. Die bekannte Unreal-Engine zeichnet ein düsteres Bild, weil das Geschehen ausschließlich bei Nacht stattfindet. Ärgerlich sind viele kleine Ladepausen, die dreckige Spielwelt wirkt dadurch stellenweise etwas fragmentiert. Als störend empfinde ich einige unlogische Levelbegrenzungen und scheinbar unüberwindbare Hürden, ein Vampir sollte sich schließlich etwas freier bewegen können. Dafür sind die wichtigsten Charaktere trotz einer gewissen hölzernen Mimik schön detailliert dargestellt. Die englische Sprachausgabe (deutsche Texte) ist gut und steht dem stimmungsvollen Soundtrack in nichts nach. 

 
Machen wir es kurz und schmerzlos: Vampyr ist für mich das beste Blutsauger-Videospiel seit Vampire: Bloodlines und der Legacy-of-Kain-Reihe. Das solide Action-RPG-Gerüst begeistert mich mit tiefgründigen Figuren und ihren Beziehungen untereinander sowie der starken Story. Ein durchdachtes Highlight des Spieljahres 2018.

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